Zur Natur dieser Seite
Die letzten zehntausend Jahre haben die Ambivalenz eines Zeitalters offenbar
gemacht, das noch nicht beendet ist, aber ausläuft. Dieses Zeitalter
ist grob dadurch bezeichnet, dass es das entselbstete Selbst darstellt. Das
seiner selbst Beraubte. Das sich seiner selbst Beraubende. Es ist die Geschichte
eines an sich neuen Identitätsbegriffs, einer im wörtlichsten Sinne
neuen Menschheit, eines Bewusstseins, dessen Ziel die Entfesselung der Individualität
ist. Der Weg dahin war allerdings gepflastert mit widersprüchlichen Entwicklungen
besagter zehntausend Jahre, in welchen diverse Hoch- und Tiefkulturen sich
wesentlich dadurch auszeichneten, das Individuum seiner Identität zu
berauben, um es manipulierbar zu machen. Aus Sicht des Individuums war diese
Entwicklung - so langwierig sie uns auch erscheinen mag - notwendig, denn
nur auf diesem schmerzlichen Wege konnte es sein Selbstempfinden festigen.
Der oft bemühte "Quantensprung" im menschlichen Bewusstsein
- bis hin zu diffusen Menschheitsuntergangsphantasien - realisiert sich durch
eben diese begriffliche wie emotionale Loslösung des Individuums von
seinem Herdendasein. Durch diese Loslösung vollzieht das Individuum in
der Tat eine Wandlung, die ihresgleichen sucht und die Welt wird, so wie sie
besteht, nicht mehr weiter existieren. Dieser Prozess ist bereits in vollem
Gange, wird sich aber über Jahrzehnte erstrecken.
Allerdings gibt es Momente innerer Entscheidung, die zu einem bestimmten
Zeitpunkt innerer Entwicklung viele Individuen betreffen und so den berechtigten
Eindruck erwecken, es stünden weltbewegende Veränderungen bevor.
So wie die Vielen durch ihre Entselbstung über Jahrtausende dafür
gesorgt haben, dass sich die Menschheit so bewegt, wie wir sie kennen, so
werden natürlich entsprechend gewaltige und ganz anders als uns bekannte
Entwicklungen eintreten, denn die psychische Energie der Masse ist beträchtlich.
Das ist auch der Grund, warum seitens aller Machtsysteme stets getrachtet
wird, dieser Energie habhaft zu werden, was in Form der Entselbstung des Individuums
durch Religiosität und Wissenschaftlichkeit bewerkstelligt wurde.
Das Problem der diversen Machtsysteme ist, dass die alten "Entselbstungsinstrumentarien"
wachsend weniger greifen, bis dahin, dass der Ungehorsam um sich greift. Allmählich
reift im Individuum die wahrlich innere Erkenntnis, dass jedes System, das
sich aus Individuen zusammensetzt, in deren Diensten steht und nicht umgekehrt.
Das ist bedrohlich für die Systeme, denn ihre Abhängigkeit vom Einzelnen
wird offenbar. Derart getrieben, agieren die Systeme nunmehr hektisch, solidarisieren
sich und werfen breitflächig sämtliche verfügbaren Angstmaschinerien
an. Die noch zarten Sprösse einer sich schälenden, neuen Individualität
werden von diesem "Um-sich-schlagen" der Systeme natürlich
noch hier und da niedergeprügelt, allerdings ist die Entwicklung unumkehrbar,
denn die Systeme haben in ihrer althergebrachten Form ausgedient. Das Individuum
versteht und empfindet zum ersten Mal in seiner Geschichte, dass es um seinetwillen
und nicht um der Systeme willen existiert. Das Ende dieses Lernzyklus markiert
in der Tat einen "Quantensprung" im menschlichen Bewusstsein und
ist zugleich Auslöser für beeindruckende, noch zu kommende Veränderungen.
Ein solches Zeitalter innerer Umwälzungen der Individualität erweckt notwendig den Eindruck, es herrsche ein gewisses Chaos. Und in der Tat ist es das abschließende Freistrampeln der Individualität aus jeglicher Unterordnung. So sieht der Mensch in der Freiheit aus, wenn er sie nicht kennt. Unbeholfen, nicht böse, denn bei aller Freiheitsliebe wirken noch alte Verständnismuster, die dem Menschenkind (noch) hinderlich bei der Selbstbefreiung sein können. Das Geleit, das die Menschen in diesen etwas turbulenteren Zeiten benötigen, ist aber ein ganz anderes als ehedem. Es hat mit Bevormundung nichts mehr zu schaffen. Im Gegenteil ist festzustellen, dass die Menschen eine Verständigkeit für die größeren Zusammenhänge ihres Seins entwickelt haben, die auf einem neuen, starken Selbstempfinden gründet. Dieses neue Selbst zu vereinnahmen, funktioniert nur noch begrenzt mittels der Angst. So scheitern zunächst breitflächig diverse, voneinander sehr unterschiedliche politische Systeme. Es kann zunächst sogar danach aussehen, als würde das Religiöse Auftrieb bekommen.
Nach dem Umbruch der Gesellschaftssysteme sind allerdings die Religionen
fällig. Bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts wird ein gehöriger Teil
der irdischen Gesellschaften einen markanten Rückgang der Religiosität
erfahren. Zunächst aber wird den Religionen ein letzter Aufwind zuteil,
als Zuflucht gewissermaßen, nach der Loslösung der Menschen von
veralteten Gesellschaftsbegriffen. In gleichem Maße wird die empirische
Wissenschaft eine letzte übertriebene Beachtung finden. Die Wissenschaft
wird sich aus sich heraus "spiritualisieren" und dank ihres gesellschaftlichen
Nutzens den Religionen den Rang ablaufen, was in Ordnung geht.
Hiermit sind wir bei der jetzigen Entwicklung angelangt. Einige Wissenschaften
kreisen bereits in "okkulten" Grenzbereichen der so genannten Materie.
Deren Erkenntnisse werden einen gewaltigen Impakt auf die spirituelle Meinungsbildung
großer Teile der Gesellschaften haben. Zunächst aber ist man altbackener
Wissenschaftlichkeit verpflichtet und es wird sich noch zu sehr auf die Unbedingtheit
einer allem übergeordneten Materie fokussiert. Sie suchen nach wie vor
Antworten in materiellen Manifestationen, gerade wenn sie von Gehirnströmen
oder Antimaterie sprechen. All dies erscheint an die Materie geknüpft,
in Beziehung zur Materie gesetzt. Hier sollte lieber eine Sensibilisierung
für ein andersartiges als das materielle Medium eintreten.
Eine Wissenschaft, die den spirituellen Sehnsüchten des Wesens nicht
Rechnung trägt, ist zumindest sehr unvollkommen. Allerdings kann Spiritualität
nicht verordnet werden. Ein integrierendes Verständnis muss in der wissenschaftlichen
Erziehung bereits eingebettet sein, was schwierig erscheint, wenn man die
breite Ablehnung einer nichtmateriellen "Grundsubstanz" (zugegeben
- ein Widerspruch in sich) seitens der Wissenschaften in Betracht zieht. Auch
fehlt im menschlichen Wortschatz eine konsistente Bezeichnung für ein
solches"Substrat". Gewöhnlich wird es daher als Geist bezeichnet,
ein Begriff der bekanntlich mehrere Bedeutungen haben kann, die jedoch alle
ein seiendes Nichtmaterielles bezeichnen.
Ein großes kulturelles Problem stellt also die unbedingte Wissenschaftshörigkeit
neben der übersteigerten Religiosität dar. Beide bedingen sich gegenseitig.
Das mit einer ursprünglich gesunden Spiritualität gekommene Wesen
wird von den Wissenschaften in eine geistlose Teilchenwelt entführt und
sorgt sodann für Kompensation hinsichtlich der verlorenen Geistfühligkeit
in Form einer fraglosen, oft absurden Religiosität.
Ein geistiges, nach Freiheit strebendes Wesen wie das Selbst kann nicht folgenlos
mit einem einerseits ungeistigen, andererseits einem geistig unterjochten
Selbstverständnis leben. In Zeiten ungeteilter Religiosität fiel
das weniger auf, aber in Zeiten zunehmender Verwissenschaftlichung wird der
Mangel zunehmend offenbar. Es entsteht ein bedrohlicher Widerspruch im individuellen
Selbstverständnis, welches sowohl den Erkenntnissen der Wissenschaften
als auch dem angeblichen Wissen um "Gott" vertraut. Dies sind also
die zwei Pfeiler des derzeitigen irdischen Selbstbegriffs.
Man betrachte sich mal deren übergeordnete Inhalte: Der eine Pfeiler
lehnt Gott völlig ab, der andere jeglichen Wissensdrang.
Der Religion zufolge wohnt alles Wissen in Gott und wir sind nur Ausführende
der Bestimmung. Der Wissenschaft zufolge sind wir wirr Zustandegekommene aus
"herumgeisternden" Elementarteilchen. Die Ähnlichkeit der beiden
Dogmen ist beeindruckend. Beide entmachten das Individuum von Grund auf aus
zwei verschiedenen Richtungen kommend.
Als praxisnahes Exempel kann der Umstand betrachtet werden, dass etwa in einem
Land, das angeblich Wert auf die Trennung von Staat und Kirche legt, Religion
ein unbestrittenes Schulfach an staatlichen Schulen ist. Die Kinder werden
in der einen Unterrichtsstunde gelehrt, dass Gott die Welt erschaffen hat
und zum Wochenende hin den Menschen. In der anderen Unterrichtsstunde erfahren
die Sprösse, dass die Welt aus dem Urknall entstanden ist und das Leben
sich aus vagabundierenden Molekülen entwickelt hat. Beides ist ernst
gemeint und geeignet, ernsthafte Verwirrung zu stiften, was es auch tut uzw.
stärker, als man sich das vielleicht ausmalen will.
Es werden also auf essenziellen gesellschaftlichen Gestaltungsebenen völlig
unnötige Widersprüche aufgetürmt, die selbst bei großer
Dehnbarkeit der Kuhhaut auf selbiger nicht unterzubringen sind.
Die Beispiele können diversifiziert werden: Während den Kindern
schonungslos die Physik beigebracht wird, wird die Metaphysik doch sehr oft
innerhalb der religiösen Deutungshoheit gesichtet, wenngleich der Ausdruck
"Metaphysik" auf Aristoteles zurückgeht, der noch heute Wissenschaftlern
verschiedener Couleur professionelle Tränen des Stolzes in die Augen
treibt.
So mausert sich die Metaphysik zur "Wissenschaft Gottes" oder "Wissenschaft
von Gott", was die Religionen natürlich tatkräftig begrüßen.
Aus einer möglichen Wissenschaft wird ein diffuses Moralgebilde, das
im Gewissen kulminiert und nichts mit dem Studium einer nichtmateriellen Essenz
zu schaffen hat, was der ursprüngliche Begriff suggeriert - ein Jenseits
der Phsyik, eine Erweiterung jener in tiefere Aktivitätsbereiche - und
nicht eine Anhäufung moralischer Direktiven. Auch ist es herzerweichend,
zu welchen Wendungen dieser arme Begriff genötigt werden musste, um von
einem phänomenologischen zu einem moralischen zu mutieren. Aber die Religion
vollbringt auch noch das größte akrobatische Kunststück und
lässt am Ende Ameisen Elefanten gebären - und das mittels unbefleckter
Erkenntnis, äh... Empfängnis.
Ideen kommen und gehen. "Gott" ist ein solche. Die Menschen sehen diese angebliche Entität stellvertretend für eine gestaltende Kraft, der sie sich gewahr sind, die sie aber nicht zu orten vermögen und selbst manch wissenschaftlicher Geist scheint daher Gott zu brauchen. Im Wesen, außerhalb des Wesens - man weiß es nicht. Diese Nichtortbarkeit jener Kraft verleitet die sich kristallisierende Individualität dazu, im ersten Impuls eine personifizierte Überentität zu denken.
Eine Energie, die zwar nicht physisch, aber nicht gleich Gott ist, scheint es nicht geben zu wollen. Ein unpersönliches Substrat, ein Kraftfeld, dessen Grundimpuls die Bildung von Entitäten ist, das die Körperlichkeit integriert und gestaltet, das jedoch nicht vollendet, absolut ist - ein solches scheint in der Welt der Guten und Bösen, der Richtigen und der Falschen keinen Einlass finden zu wollen.
Erst das allmähliche Verlassen jenes Lernzyklus, an dessen Ende ein gewachsenes individuelles Bewusstsein steht, wird den Gottesbegriff entzaubern.
Sämtliche Fragestellungen aller Wissenschaften und Religionen sind
philosophischer Natur. Jede Lehre und jede Erkenntnis eines Zusammenhangs
- sei dieser subatomarer oder makrokosmischer, psychologischer, biologischer
oder göttlicher Natur - wird zur Philosophie der jeweiligen Bewegung,
denn die Philosophie ist mit der geistigen Bewegung befasst. Und die geistige
Bewegung ist das Prinzip aller Bewegung.
Schließlich ist der Zusammenhang der Phänomene Tenor aller Betrachtung,
sei sie nun wissenschaftlich oder religiös. Die Formulierung des jeweiligen
Zusammenhangs ist spezifische Philosophie der jeweiligen Disziplin.
Wir begreifen also die Philosophie als eine Lehre, deren Erkenntnisfrüchte
stets an der Wirklichkeit erprobt werden sollten, denn sie ist mitunter das
Studium der aktuellen Bewegung. So wird es nicht ausbleiben, dass wir die
verschiedenen Wissenschaften samt ihren Philosophien streifen, nicht vergessend,
dass alle speziellen Bemühungen in den Wunsch münden, das Sein umfassender
und besser zu verstehen als davor.
Es stehen uns keine epochalen Schlussfolgerungen im Sinn, sondern lediglich
die Erbauung des irdischen Menschengeists auf der Höhe der vorhandenen
Möglichkeiten, ein erneuertes Selbstverständnis, das sich sowohl
von den alten spirituellen wie auch von den etwas neueren empirisch-mechanistischen
Strömungen zu befreien weiß, um dennoch von beiden etwas in eine
neue Weltsicht hinüber zu retten.
Grüße
Touli Balouli